Akkermansia muciniphila: Wissenswertes über den Mikrobiom-Superstar
In wissenschaftlichen Studien rund um das Darmmikrobiom wurden potenzielle neue Probiotika- Arten untersucht, welche die Medizin revolutionieren könnten. Das Darmmikrobiom ist ein komplexes und vielfältiges System, das aus dem genetischen Material von Billionen von Mikroorganismen (Mikrobiota) besteht. Es ist für unsere Gesundheit und unser Wohlbefinden in hohem Maße förderlich.
Studien haben ergeben, dass sich das Mikrobiom tiefgreifend auf verschiedene Systeme auswirkt und eine entscheidende Rolle für die Verdauung, das Immunsystem und die psychische Gesundheit spielt. Ein Ungleichgewicht im Darmmikrobiom kann zu einer Vielzahl von Problemen führen, die von gelegentlichen Verdauungsbeschwerden im Form von Völlegefühlen und Blähungen bis hin zu umfassenderen systemischen Problemen wie Übergewicht, Diabetes, Alzheimer, Entzündungen usw. reichen.
Die Bakterie Akkermansia muciniphila ist besonders interessant, da sie eine wesentliche Rolle für die Gesundheit der Darmschleimhaut spielen und eine Steigerung der Insulinwirkung fördern soll, wodurch Übergewicht reduziert und der Blutzuckerspiegel unter Kontrolle gebracht werden kann. Neuesten Erkenntnissen zufolge ist sie angeblich nicht nur aufgrund ihrer probiotischen Wirkung im lebendigen Zustand förderlich, sondern vielmehr auch aufgrund einiger Verbindungen, welche die Bakterie selbst herstellt.
So wurde beispielsweise nachgewiesen, dass Präparate mit abgetöteten Bakterien der Art A. muciniphila noch viel wirksamer sind als welche mit lebenden Bakterienkulturen. Diese Wirkung hat sich auch bei anderen milchsäureproduzierenden probiotischen Organismen gezeigt. So waren beispielsweise Lactobacillus- und Bifidobacter-Arten auch dann wirksam, wenn sie durch Hitzeeinwirkung abgetötet wurden. Die Wirksamkeit dieser „Zombie-“ oder toten Mikroben stellt das kommerzielle Dogma in Frage, dass die einzigen wirksamen probiotischen Bakterien in koloniebildenden Einheiten (KBE) leben. Dies ist bei A. muciniphila eben nicht der Fall.
Was macht Akkermansia muciniphila so bedeutend?
Akkermansia muciniphila trägt wesentlich zur Gesunderhaltung der Muzinschicht bei und schützt die Zellen, die den Darmtrakt auskleiden. Deshalb trägt dieser Stamm auch den Namen „muciniphila“. Die lateinische Vorsilbe „phila“ bedeutet Liebe. Muciniphila bedeutet also „Liebe zu Muzin“.
A. muciniphila unterstützt die Epithelzellen, die den Darm auskleiden, bei der Herstellung von Muzin. Und dies trägt wesentlich dazu bei, die Darmschleimhaut vor Schäden zu schützen. Höhere Mengen von A. muciniphila im Darm sollen eine Optimierung der Darmbarrierefunktion, eine Verringerung der Darmpermeabilität (Leaky Gut) sowie eine allgemeine Verbesserung der Verdauungs- und Absorptionsfunktion bewirken. Sind im Verdauungstrakt keine ausreichend hohe Mengen an A. muciniphila vorhanden, ist die Darmbarriere geschwächt. Eine geschwächte Darmbarriere ermöglicht die Absorption von Darmgiften, die das Immunsystem überstimulieren und viele Entzündungen hervorrufen können. Diese aus dem Darm stammenden Toxine sollen überdies zu einer als „nichtalkoholische Fettlebererkrankung“ bezeichneten Erkrankung führen und systemische Entzündungen hervorrufen, die Arthritis, Hauterkrankungen, Herz-Kreislauf-Erkrankungen sowie Störungen der Gehirnfunktion auslösen können.1–6
A. muciniphila und Diabetes
Alle potenziellen Auswirkungen von Akkermansia muciniphila auf die Muzinschicht klingen bereits spannend, aber was die Forscher wirklich begeistert, sind seine Auswirkungen auf Diabetes und Übergewicht.
Je mehr die Menge an A. muciniphila im Darmmikrobiom schwindet, je öfter treten angeblich Übergewicht, Diabetes, Entzündungen und Stoffwechselstörungen auf. Und während die Menge an A. muciniphila im menschlichen Mikrobiom steigt, nimmt die Häufigkeit von Problemen wie Übergewicht, Diabetes, Entzündungen und Stoffwechselstörungen im Körper anscheinend ab. Es wird angenommen, dass diese Störungen auf eine veränderte Barrierefunktion des Darms aufgrund eines verringerten Schutzes durch die Muzinschicht zurückzuführen sind. Dies bewirkt die Absorption vieler aus dem Darm stammender Toxine, die eine Menge verschiedener voneinander abhängiger Systeme aktivieren können, welche unter Umständen chronische Entzündungen und eine Insulinresistenz hervorrufen.1–7
Was sagt die Wissenschaft über A. muciniphila?
Die erste klinische Humanstudie mit Akkermansia muciniphila wurde am 1. Juli 2019 in der Online-Ausgabe von Nature Medicine veröffentlicht. Zweiunddreißig Probanden mit Prädiabetes und Anzeichen eines metabolischen Syndroms (abdominelle Fettleibigkeit, erhöhte Blutfette, hoher Blutdruck usw.) wurden randomisiert und erhielten entweder ein Placebo oder ein Präparat mit lebenden bzw. durch Hitze abgetöteten (pasteurisierten) A. muciniphila-Bakterien. Die Probanden aus den aktiven Behandlungsgruppen, die A. muciniphila erhielten, nahmen täglich etwa 10 Milliarden (entweder tote oder lebende) Bakterien zu sich.
Der Hauptzweck der Studie bestand darin, die Sicherheit zu bewerten. A. muciniphila hat diesen Test mit Bravour bestanden. Die Bakterie wirkte sich zudem auf mehrere Stoffwechselmarker und die allgemeine Gesundheit aus. Bei den Probanden wurde im Vergleich zu den Teilnehmern aus der Placebogruppe eine erhöhte Insulinsensitivität, eine Reduzierung des Gesamtcholesterins sowie eine Verbesserung einiger Entzündungsmarker beobachtet. Des Weiteren wurde bei denjenigen, die Präparate mit dieser Bakterie zu sich nahmen, ein signifikanter Rückgang der weißen Blutkörperchen festgestellt. Die Wissenschaftler schlussfolgerten, dass die Stärkung der Darmbarriere zu einer verringerten Absorption von aus dem Darm stammenden Giftstoffen führt, die einen Anstieg der weißen Blutkörperchen auslösen. Die Aufnahme von Giftstoffen aus dem Darm kann zudem in vielen Fällen zu einer Beeinträchtigung der Leberfunktion führen.
Hier ist der spannende Teil der Studie: Die Wirkung der toten Bakterien übertraf die der lebenden. Ich mache die Menschen schon seit Jahren auf diese Wirkung bestimmter Probiotika aufmerksam, allerdings erhalte ich nur wenig Beachtung. Der Markt konzentriert sich auf koloniebildende Einheiten und nicht auf klinische Daten. Das ist ein Fehler. Man sollte sich lieber auf klinisch getestete Formen und Dosierungen konzentrieren.
Es gibt mittlerweile zahlreiche Forschungsarbeiten zu toten, nicht lebensfähigen Probiotika. Darin wird unter anderem auf die Wirksamkeit bei Durchfall und Magen-Darm-Infektionen, der Stärkung und Regulierung des Immunsystems, der Modulation der Darmmikrobiota und der Genesung nach Darmverletzungen hingewiesen.
Diese Bakterienpräparate werden auch als „Geist-Probiotika“, „Postbiotika“, „inaktivierte Probiotika“ und neuerdings „Para-Probiotika“ bezeichnet. Die Wirkung einiger Produkte beruht nicht auf der Tatsache, dass der Organismus lebt, sondern ist vielmehr den einzigartigen Zellbestandteilen der darin enthaltenen Bakterien zu verdanken, und zwar unabhängig davon, ob die Bakterien tot oder lebendig sind.8 Dies gilt auch für A. muciniphila.
Eines der entscheidenden Merkmale von A. muciniphila ist seine sehr „schleimige“ Konsistenz. Diese ist darauf zurückzuführen, dass es mit Molekülen bedeckt ist, die als Exopolysaccharide bezeichnet werden. Diese schleimigen Verbindungen verhindern, dass weiße Blutkörperchen ein nützliches Protein namens Amuc_1100 abbauen, welches in der Zellmembran enthalten ist, die A. muciniphila umgibt. Offenbar ist dieses Protein das Geheimnis der wohltuenden Wirkung der Bakterien.
Wenn gereinigtes Amuc_1100 Mäusen verabreicht wird, übt es dieselbe Wirkung aus wie die lebenden oder durch Hitzeeinwirkung abgetöteten Bakterien. Die durch Hitzeeinwirkung abgetöteten Bakterien sind anscheinend wirksamer als die lebendigen A. muciniphila-Stämme, da bei der Abtötung die Exopolysaccharid-Beschichtung zwar entfernt wird, das Amuc_1100 jedoch intakt bleibt. Amuc_1100 soll dann auf die Zellen einwirken, die den Darm auskleiden, und den Raum zwischen den Zellen verengen, Entzündungen reduzieren und die Aufnahme von Giftstoffen aus dem Darm verhindern, die zu Insulinresistenz, einer nichtalkoholischen Fettlebererkrankung, Übergewicht sowie Typ-2-Diabetes führen.1–6
A. muciniphila und Blutzuckerspiegel
Als Probiotikum in seiner lebendigen Form könnte Akkermansia muciniphila dazu beitragen, die Anzahl der Bakterien im Darmmikrobiom zu erhöhen. Und dieser Anstieg vermag es möglicherweise, eine positive klinische Wirkung herbeizuführen. In einer weiteren Doppelblindstudie an 76 Probanden mit Typ-2-Diabetes wurde eine probiotische Formel verwendet, die lebendes A. muciniphila sowie vier andere Bakterienstämme enthielt: Clostridium beijerinckii, Clostridium butyricum, Bifidobacterium infantis und Anaerobutyricum hallii.9 Bei den Probanden aus der Probiotikagruppe, die 12 Wochen lang auch das Medikament Metformin erhielten, bewirkte dieses Probiotikum in einer Dosierung von 3 Kapseln zweimal täglich eine Verbesserung der Blutzuckerwerte im Vergleich zu den Probanden aus der Placebogruppe.
Insbesondere wurden nach der 12-wöchigen Einnahme des Nahrungsergänzungspräparats im Vergleich zur Ausgangsmessung leichte Verbesserungen der Blutzuckerwerte in einem standardmäßigen 3-Stunden-Mahlzeitentoleranztest und des A1C-Werts festgestellt. Als A1C wird der durchschnittliche Blutzuckerwert der letzten drei Monate bezeichnet. Nach der 12-wöchigen Einnahme des probiotischen Präparats sank der A1C-Wert um 0,6 %. Es muss noch ermittelt werden, in welchem Umfang A. muciniphila zur Verbesserung beitrug, da die anderen Bakterien ebenfalls an der Blutzuckersenkung beteiligt waren.
Förderung des Wachstums von A. muciniphila im Darmmikrobiom
Zwar ist Akkermansia muciniphila mittlerweile als Probiotikum erhältlich, jedoch ist es auch wichtig, Lebensmittel zu verzehren, die das Wachstum dieser Bakterien fördern. Die passenden Organismen in unserem Mikrobiom sind oft schon vorhanden. Sie benötigen lediglich Nahrung, so wie ein Rasen den passenden Boden und Dünger braucht.
Die Konzentration auf die Schaffung eines geeigneten „Bodens“ und auf „Düngemittel“ für das Wachstum von A. muciniphila sowie anderen nützlichen Probiotika ist wichtig für den Aufbau eines optimalen Mikrobioms. Es hat sich gezeigt, dass einige Ernährungsweisen das Wachstum von A. muciniphila fördern können, insbesondere eine FODMAP-Diät, Flavonoide, diverse Fischöle und Berberin.
Was ist eine FODMAP-Diät?
FODMAP ist ein Akronym für:
- Fermentierbar – Lebensmittel, die von Bakterien im Dickdarm schneller abgebaut (fermentiert) werden
- Oligosaccharide – „oligo“ bedeutet „wenig“ und „Saccharid“ bedeutet Zucker. Diese Moleküle bestehen aus einzelnen Zuckern, die zu einer Kette verbunden sind. Bohnen sind eine herkömmliche Oligosaccharidquelle.
- Disaccharide – „di“ bedeutet zwei Zucker. Ein Disaccharid besteht also aus zwei miteinander verbundenen Zuckermolekülen. Saccharose ist ein Disaccharid.
- Monosaccharide – „Mono“ bedeutet „ein“. Ein Monosaccharid ist also ein einzelnes Zuckermolekül. Fructose ist ein Monosaccharid.
- Und (im Englischen „And“)
- Polyole – das sind Zuckeralkohole, die häufig als Süßungsmittel verwendet werden. Beispiele hierfür sind Xylitol, Maltitol und Erythritol.
Nicht alle FODMAPs sind gesundheitsfördernd. Nachfolgend ist eine Liste einiger geläufiger Lebensmittel und Zutaten aufgeführt, die einen hohen Anteil an gesundheitsfördernden FODMAPs enthalten, welche das Wachstum von A. muciniphila fördern können:10
- Gemüse: Artischocken, Spargel, Brokkoli, Rote Bete, Rosenkohl, Kohl, Blumenkohl, Knoblauch, Fenchel, Lauch, Pilze, Okra, Zwiebeln, Erbsen und Schalotten.
- Obst: Äpfel, Aprikosen, Brombeeren, Boysenbeeren, Kirschen, Datteln, Feigen, Birnen, Pfirsiche und Wassermelonen.
- Hülsenfrüchte: Bohnen, Kichererbsen, Linsen, rote Kidneybohnen, gebackene Bohnen und Sojabohnen.
- Glutenfreie Getreide: Hafer, Amaranth, Buchweizen, Reis (braun, weiß, wild), Hirse, Quinoa und Sorghum.
Flavonoide fördern das Wachstum von A. muciniphila
Flavonoide sind Pflanzenpigmente und gesundheitsfördernde Verbindungen, die in Beeren, vielen anderen Früchten, grünem Tee, dunkler Schokolade, grünem Blattgemüse und Hülsenfrüchten vorkommen. Sie sind für die Gesundheit des Mikrobioms von entscheidender Bedeutung. Es wurde gezeigt, dass Flavonoide das Wachstum von A. muciniphila erheblich steigern können.10,11 Flavonoidhaltige Lebensmittel enthalten auch noch andere Komponenten (z. B. präbiotische Ballaststoffe), die ein gesundes Mikrobiom fördern. Das Flavonoid Quercetin empfiehlt sich denjenigen, die sich eine zusätzliche Zufuhr wünschen, ebenso wie Auszüge aus Granatäpfeln, Traubenkernen, Kiefernrinde, Grüntee oder Blaubeeren.
Fischöl steigert angeblich das Wachstum von A. muciniphila
Die Omega-3-Fettsäuren in Fischöl, insbesondere Eicosapentaensäure (EPA) und Docosahexaensäure (DHA), üben tiefgreifende Auswirkungen auf das Mikrobiom aus. So sollen Sie eine Erhöhung der Anzahl von A. muciniphila bewirken.13
Berberin steigert angeblich das Wachstum von A. muciniphila
Berberin ist ein Alkaloid, das in vielen Pflanzen vorkommt, insbesondere in der Gelbwurzel (Hydrastis canadensis) und der Berberitze (Berberis vulgaris). Berberin soll sich in erheblichem Maße positiv auf die Gesundheit des Verdauungssystems und des Mikrobioms auswirken und die Anzahl von A. muciniphila erhöhen. Diese Wirkung erklärt teilweise die positiven Ergebnisse, die in klinischen Studien bei der Nahrungsergänzung mit Berberin hinsichtlich der Verbesserung der Blutzuckerwerte, der Förderung der Gewichtsreduzierung, der Unterstützung normaler Blutfettwerte sowie der Verbesserung der Leberfunktion beobachtet wurden.14
Schlussbemerkungen
Eine der vielen positiven Wirkungen der meisten gesunden Diäten wie etwa der Mittelmeerdiät besteht darin, dass sie eine hohe Menge an Lebensmitteln mit diversen Verbindungen als Komponenten enthalten, die das Wachstum von A. muciniphila fördern können.
Beliebte Diäten wie die ketogene Diät und die Paläo-Diät weisen häufig einen Mangel an Nahrungsmitteln auf, die diesen lebenswichtigen Organismus fördern. Für diejenigen, die derartige Diäten einhalten, könnte es vorteilhaft sein, zusätzlich Präbiotika, flavonoidreiche Extrakte, Fischöle und konzentrierte Formen pflanzlicher Lebensmittel wie etwa Spirulina, Gerstengrassaft und anderer grüner Lebensmittel zu sich zu nehmen.
Quellenangaben:
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